Flying Jib - die fliegende Fock bzw. J0 - eine Wunderwaffe?
28.04.2026
Fliegende Fock wie bei IMOCA-Booten für alle!
2021 hatte ich einen Blog geschrieben über den MHCO (Masthead Code 0) und den FR0 (Fractional Code 0). Nun kommt die neueste Generation von Segeln auf der Saphire 27 und anderen Booten zum Einsatz: der J0 bzw. die fliegende Fock!
Wo liegen die Vor- und Nachteile dieser Segel und wann kommen sie zum Einsatz? Was heisst das für das Handling und die Performance bei normalen Sport- und Cruisingbooten?








An zwei Beispielen möchte ich meine Erfahrungen teilen. Dazu zuerst ein kleiner Rückblick und eine Analogie zu den IMOCA-Booten.
Abb. North Sails / VOR65
MH0 (Masthead Code 0)
Auf der Serafina hatte ich 2020 den MH0 mit über 40m2 getestet und hervorragende Geschwindigkeiten erreicht. Hart am scheinbaren Wind konnte ich einen 30° Winkel bei sehr guten Geschwindigkeiten erreichen. Bei 1.5kn bis 2.0kn wahrer Wind erreichte die Serafina ziemlich genau die doppelte Windgeschwindigkeit hoch am Wind. Nach oben schliesst sich dann die Schere und der Vorteil wird kleiner. Bei >6kn hoch am Wind wird auf die 15m2 Fock gewechselt, um mit weniger Druck die Höhe fahren zu können.
Abb.: Weit überlappendes Segel mit über 40m2 (MHC0) ausserhalb der Wanten und Salinge
FR0 (Fractional Code 0)
Im Vergleich zum „Fractional Code 0“ im 7/8 (FR0) fährt der MH0 mehr Höhe insbesondere dank der grösseren Überlappung. Der Schnitt vom MH0 ist auch etwas flacher. Das hängt damit zusammen, dass durch die 30° angewinkelten Salinge bei geringerer Überlappung das Segel hinten stärker offen bleibt. Bei grosser Überlappung schliesst das Segel und das Profil zeigt die grösste Tiefe bei etwa 45%, was ein gutes Am Wind Profil ergibt.
Abb.: Fractional Code 0 (FR0) mit 35m2
J0 (Flying Jib oder fliegende Fock)
Die fliegende Fock auf der Saphire hat 22m2 anstatt 40m2 wie der MHC0 (fliegende Genua) und wird innen an den Wanten geschotet. Zudem ist sie weiter vorne am Bugsprit montiert, um mehr projizierte Segelfläche zu ermöglichen. Bei einer Saphire 27 sind es tatsächlich 6m2 mehr Segelfläche gegenüber der normalen Fock, die zusätzlich projiziert werden. Darüber hinaus wird das Boot deutlich weniger in allen Ratingsystemen abgestraft, weil die gesamte Am Wind Segelfläche viel kleiner ist.
Schon vorweg das Resultat: bei 5-6 kn. Wind fährt die Saphire 26° am scheinbaren Wind ggü. 30° mit der Fock oder dem MHCO, also deutlich höher und das Segel kann bis 12kn Wind an der Kreuz optimal genutzt werden. Das Spektrum hat sich signifikant vergrössert. Warum das so ist, erfährst du weiter unten!
Fliegende Fock mit 22m2 auf dem Bugsprit
Holepunkt auf der Fockschiene
Der grosse Unterschied zu den anderen beiden fliegenden Vorsegeln (FR0 und MHC0) ist, dass “the flying jib” auf der normalen Genuaschiene geschotet wird, d.h. sie kann deutlich dichter gefahren werden. Bei der Saphire liegt der Holepunkt nur 60cm leeseits des Mastens. Darüber hinaus ist sie 80cm weiter vorne angeschlagen als die Fock und 15cm weiter vorne als der MHC0, d.h. der Winkel am Wind im Verhältnis zur Fock ist noch enger, deshalb läuft sie mehr Höhe. Zudem verträgt sie aufgrund der deutlich geringeren Gesamtfläche mehr Wind und das Vorliek häng kaum durch.
Abb.: Holepunkt auf der Fockschiene, 60cm von Mittschiff entfernt, Reling nach vorne und nach unten gezogen
Relingleinen nach unten, ev. Bugkorb stutzen
Die fliegende Fock kann nur dichtgeholt werden, wenn vorne die Reling entfernt oder umgebaut wird. Bei bestimmten Booten mit einem grossen Bugkorb muss auch dieser entfernt oder verkleinert werden.
Abb.: Relinge vorne ganz nach unten gezogen, damit das Segel dichtgeholt werden kann. Je nach Boot muss der Bugkorb verkleinert oder ersetzt werden
Gurtband auf dem Bugsprit
Zum fliegenden Wechseln von der fliegenden Fock auf den Genni empfiehlt sich ein Gurtband, damit die Tackline frei bleibt. So spart man sich das Umhängen und kann die fliegende Fock gerollt auf Deck legen unter Gennaker. Zudem wird die Distanz des Gurtbandes durch eine Dyneema-Leine genau festgelegt.
Abb.: Kräftige Vorliekspannung erzeugt ein straffes Vorstag und mehr Höhe/Vortrieb am Wind
Fliegende Fock auf einem Cruiser (Granada 858)
Heute werden die sog. Code 0’s auf vielen Cruising-Booten verwendet, weil das Handling und die Manöver, insbesondere Setzen und Bergen, einfacher sind als bei einem Gennaker oder Spinnaker. Hingegen sind die meisten Segel Kompromisse, da viele der Cruising Boote kaum über die Rumpfgeschwindigkeit hinaus kommen. Aus diesem Grund werden oft Nylon-Vorsegel als Code 0 geschnitten, was aber dem ambitionierten Segler nicht gerecht wird. Das Beispiel der Granada 858 soll zeigen, welche Modifikationen an einem Cruiser gemacht werden können, um die Performance und Rating zu verbessern.
Abb.: Bugkorb weg, Bugsprit mit Wasserstag ran und fliegende Fock setzen
Modifikationen auf der Granada 858
Ziel war das Boot schneller und deutlich einfacher im Handling zu machen. Zudem soll es nach berechneter Zeit ein besseres Rating erzielen. Folgende Arbeiten wurden gemacht:
Bugkorb weg
Bugsprit mit Wasserstag montiert (Fallenbach Werft)
Achterstag mit 16 statt 4fach Übersetzung (Yachttauwerk)
Neue Relingleinen vorne auf Deck gezogen (Yachttauwerk)
Backstage entfernt, Spibaum entfernt
Fliegende Fock 21.5m2 statt Genua 26m2 (Top Voiles)
Zusätzliche Fockschoten und Blöcke für die fliegende Fock
Gennaker 80m2 statt Spinnaker 70m2 (gleiches ISP, auch von Top Voiles) mit neuer Tackline (Halsleine am Bugsprit und Stopper)
Neue Fock mit 18m2 innerhalb der Wanten geschotet auf dem bestehenden Selden Furler, läuft deutlich mehr Höhe als die alte Genau ausserhalb der Salinge
Die fliegende Fock ersetzt die alte Genua, hat rund 6m2 mehr projizierte Segelfläche und ist dennoch 4.5m2 kleiner, d.h. es gibt eine Verbesserung des Ratings. Zudem wurde das Boot ab ca. 12kn Wind mit einer Trilam-Fock von Top Voiles ausgerüstet, welche ebenfalls innerhalb der Wanten geschotet wird, d.h. 60cm von Mittschiffs statt aussen an den Salingen vorbei. Diese läuft auf dem bisherigen Selden Furler. Dadurch läuft das Boot deutlich mehr Höhe als zuvor.
Der Gennaker macht die Granada 858 viel einfacher zu segeln - auch einhand - und ist etwas grösser wie der alte Spinnaker. Es braucht keinen Spibaum mehr. Eine Abstrafung im Rating gibt es dafür nicht, weil das gleiche Fall genutzt wird, d.h. das ISP bleibt unverändert.






Erfolgsversprechendes Tuning
Die ersten Tests sind erfolgreich verlaufen. Die Segel passen perfekt zu den Booten und lassen die Saphire wie auch die Granada ausgeglichener auf den Rudern laufen. Es ist schön zu erfahren, wie die Performance von alten und neuen Booten gleichermassen gesteigert werden kann mit dem schönen Nebeneffekt eines besseren Ratings, d.h. nicht nur segeln die Boote bei Leichtwind schneller und höher, auch sinkt das Rating, z.B. um rund 2% bei der Granada 858. Der direkte Vergleich mit anderen Booten an den Regatten wird zeigen, wie gross der Vorteil sein wird. Für die Granada wird das am Rigi Cup erstmals der Fall sein, für die Saphire an der 100 Meilen Pfingstregatta auf dem Neuenburgersee, wo 12 Saphire 27 am Start sind mit den oben beschriebenen Segelkonfigurationen.
Abb.: Easy sailing